Claudia Stadlmayr beim ZAG-Marathon
Weak del Pezzo surfaces with global vector fields
Unsere TopMath-Studentin Claudia Stadlmayr hielt ihren ersten internationalen Konferenzvortrag im Rahmen des "ZAG-Marathons". Das neuartige Online-Konferenzformat fand anlässlich des "Tags des Wissens" am 1. September 2020 statt.
Dabei wurden in den 24 Stunden dieses Tages 24 Forschungsvorträge zur algebraischen Geometrie quer durch alle Zeitzonen gehalten - einer davon von Claudia Stadlmayr zu ihrer Forschung an schwachen del Pezzo Flächen mit globalen Vektorfeldern.
ZAG-Seminar und ZAG-Marathon
Text: Claudia Stadlmayr
Während der vergangenen sechs Monate hatte sich das Format des ZAG-Seminars (kurz für "Zoom Algebraic Geometry Seminar"), einem zweimal wöchentlich online stattfindenden, internationalen Forschungsseminar zur algebraischen Geometrie, etabliert. Mit seinen über 40 Organisator*innen aus der ganzen Welt, Vorträgen zu den verschiedensten Themen aus der algebraischen Geometrie und einem bereits bis Juni 2021 ausgebuchten Vortragsplan hat es sich zu einer sehr gut besuchten Institution entwickelt, die in den vergangenen Monaten, während denen persönliche Treffen und Reisen nicht möglich waren, die weltweite Algebraische-Geometrie-Community zusammenwachsen ließ.
Um den blühenden Wissensaustausch im Rahmen dieses Online-Formats, aber auch die Wissenschaft im Allgemeinen zu feiern, rief Ivan Cheltsov, Professor in Edinburgh und einer der Organisatoren des ZAG-Seminars, am 1. September anlässlich des russischen Feiertags "День Знаний" eine Sonderedition des ZAG-Seminars ins Leben: den "ZAG-Marathon". Der "День Знаний" - zu Deutsch: "Tag des Wissens" - am 1. September ist traditionell das Datum, an dem in der Russischen Förderation und in vielen anderen früheren Sowjetrepubliken das Schul- und Universitätsjahr beginnt.
Die Idee des originellen Marathon-Formats war es, jede der 24 Stunden des "Tags des Wissens" mit einem Forschungsvortrag zur algebraischen Geometrie zu begehen - die Standorte der Vortragenden quer durch alle Zeitzonen verteilt. Nach einem Start in Sydney um 0 Uhr (GMT) trat Claudia Stadlmayr für unsere Zeitzone um 12 Uhr (GMT) in München an, während der Algebraische-Geometrie-Marathon mit dem letzten Vortrag um 23 Uhr (GMT) in Honululu beendet wurde.
Die Standorte der Vortragenden sind auf dem Globus im Poster zum ZAG-Marathon markiert. Aufzeichnungen der Vorträge finden Sie auf der ZAG-Website.
Sehen Sie den Vortrag von Claudia Stadlmayr auf Vimeo:
Klassifikation schwacher del Pezzo Flächen mit globalen Vektorfeldern
Text: Claudia Stadlmayr
Ein klassisches Resultat in der algebraischen Geometrie besagt, dass eine nicht-degenerierte Fläche im n-dimensionalen projektiven Raum mindestens von Grad (n-1) ist. Nachdem Pasquale del Pezzo 1886 solche "Flächen von minimalem Grad" klassifiziert hatte, studierte er 1887 in seiner Arbeit "Sulle superficie dell nmo ordine immerse nello spazio di n dimensioni" algebraische Flächen vom nächsthöheren Grad n im n-dimensionalen projektiven Raum. Als Hommage an del Pezzos Arbeit werden, etwas allgemeiner, glatte projektive Flächen mit ampler antikanonischer Klasse seither auch "del Pezzo Flächen" genannt. Eine schwächere Form der Bedingung an die antikanonische Klasse ampel zu sein, ist nur "big" und "nef" zu sein, was intuitiv bedeutet, dass die antikanonische Garbe "genügend" globale Schnitte und "gutes" Schnittverhalten mit Kurven aufweist. Solche Flächen werden "schwache del Pezzo Flächen" genannt und können äquivalenterweise auch dadurch charakterisiert werden, dass sie entweder die projektive Ebene, das Produkt der projektiven Geraden mit sich selbst, die zweite Hirzebruchfläche oder eine Aufblasung vom \(\mathbb{P}^2\) in höchstens acht Punkten in fast allgemeiner Lage sind.
Eine naheliegende und natürliche Frage ist es nun, was die Symmetriegruppen solcher Flächen sind. Leider stellt sich diese Frage im Allgemeinen als schwierig heraus, da die Automorphismengruppe zwar eine Untergruppe der planaren Cremonagruppe der birationalen Automorphismen von \(\mathbb{P}^2\) ist, diese jedoch sehr groß sowie teilweise immer noch mysteriös ist und auch das Bild der Einbettung von Aut(X) in der Cremonagruppe schwer zu bestimmen ist. Daher ist es nötig, die Frage nach den Automorphismengruppen solcher Flächen durch eine besser zugängliche zu ersetzen, wofür wir Folgendes beobachten:
Die Automorphismengruppe ist nach einem Resultat von Alexander Grothendieck nicht nur eine abstrakte Gruppe, sondern die Gruppe der Körper-wertigen Punkte des Automorphismenschemas, dessen Zusammenhangskomponente der Identität wir studieren möchten.
Die Schwierigkeiten, die bei der Untersuchung der Automorphismengruppe auftraten, können nun mithilfe "Blanchard's Lemma" für die Bestimmung der zusammenhängenden Automorphismenschemata schwacher del Pezzo Flächen überwunden werden. Dieses Lemma besagt, dass für einen birationalen Morphismus X \(\to\) Y zwischen eigentlichen Schemata über einem Körper das zusammenhängende Automorphismenschema von X als ein abgeschlossenes Unterschema des Automorphismenschemas von Y aufgefasst werden kann. Glücklicherweise kann das Bild dieser abgeschlossenen Einbettung in speziellen Situationen explizit beschrieben werden: Wenn X \(\to\) Y die Aufblasung von Y in einem abgeschlossenen Punkt p von Y ist, kann das zusammenhängende Automorphismenschema von X als das zusammenhängende Stabilisatorenunterschema von p bestimmt werden.
Die Charakterisierung der meisten schwachen del Pezzo Flächen als iterierte Aufblasungen der projektiven Ebene ermöglicht es nun deren zusammenhängende Automorphismenschemata zu bestimmen, indem wir die iterierten Stabilisatorenschemata der aufgeblasenen Punkte berechnen.
Die Bedingung eine Aufblasung der projektiven Ebene in höchstens acht Punkten in fast allgemeiner Lage zu sein, liefert ebenfalls Restriktionen an die Arten von Kurven, die auf schwachen del Pezzo Flächen auftreten können: Was Kurven mit negativem Selbstschnitt angeht, so sind nur (-1)-Kurven und (-2)-Kurven auf schwachen del Pezzo Flächen möglich.
Daher können wir nun alle schwachen del Pezzo Flächen mit nicht-trivialem zusammenhängenden Automorphismenschema (oder äquivalent dazu: mit globalen Vektorfeldern) sowie die Konfigurationen von (-1)- und (-2)-Kurven auf ihnen klassifizieren.
Dies wurde im Artikel "Weak del Pezzo surfaces with global vector fields" über einem algebraisch abgeschlossenen Körper beliebiger Charakteristik ausgeführt und beantwortet damit eine fundamentale und sehr alte Frage, wenn man auf die gesamte Historie des Studiums von del Pezzo Flächen, begonnen 1887, zurückblickt.
Referenz:
- Weak del Pezzo surfaces with global vector fields (with G. Martin), 50 Seiten, 67 Figuren, arXiv:2007.03665
Claudia Stadlmayr: Vita

- 2011-2012: Frühstudium Philosophie an der Universität Augsburg
- 10/2014-03/2018: Bachelor Mathematik an der TUM
- 09/2016-03/2017: Auslandssemester an der Université Pierre et Marie Curie (Paris VI), Sorbonne Universités, im "M2 de Mathématiques fondamentales"
- 04/2017-03/2018: TopMath-Bachelorphase
- 2018: TopMath Study Award
- seit 04/2018: TopMath-Master (bis 09/2020) und Promotionsphase
- 03/2020: Forschungsaufenthalt am Steklov Institut für Mathematik, Moskau, Russland
- Stipendiatin der Bischöflichen Studienförderung Cusanuswerk e.V. (10/2014 bis 09/2017), des Max Weber-Programms Bayern (seit 10/2014) und der Studienstiftung des deutschen Volkes (01/2015-03/2020)
Weitere Informationen finden Sie auf der Homepage von Claudia Stadlmayr.
Laudatio
"Claudia Stadlmayr zeigte bereits in ihrer TopMath-Bachelorarbeit 'Deformations and Resolutions of Rational Double Points' ein außerordentlich tiefes Verständnis für algebraische Geometrie. Inzwischen liegen von ihr bereits zwei Preprints mit eigenen Resultaten vor: 'Weak del Pezzo surfaces with global vector fields' (Juli 2020, 50 Seiten, gemeinsam mit Gebhard Martin) und 'Which rational double points occur on del Pezzo surfaces?' (September 2020, 20 Seiten), die beide bereits für Aufmerksamkeit in der Fachwelt gesorgt haben.
(Schwache) del Pezzo Flächen und allgemeiner (schwache) Fano-Varietäten sind zentrale Objekte der algebraischen Geometrie. Sie tauchen in natürlicher Weise in vielen Klassifikationslisten auf und sind Grundbausteine im sogenannten Minimal Model Programm (oder Mori-Programm), das nicht weniger als eine komplette Klassifikation aller algebraischen Varietäten anstrebt. Die Frage nach den Symmetriegruppen dieser Objekte hat eine lange Geschichte, was auch die Frage nach globalen Vektorfelder mit einbezieht. In Dimension 2 steht durch die Arbeit von Martin und Stadlmayr jetzt eine solche Klassifikation zur Verfügung, die sicherlich viel Verwendung finden wird.
In der reinen Mathematik ist dies in diesem frühen Karrierestadium höchstbemerkenswert - die erste Arbeit hat ihr ihre Einladung zum ZAG-Marathon im September beschert und die zweite ist gerade einmal ihre Masterarbeit." - Prof. Dr. Christian Liedtke (TUM), Mentor von Claudia Stadlmayr.