Celonis im Interview
Interview mit Bastian Nominacher, Co-CEO Celonis

Gewinner des Deutschen Zukunftspreises 2019: Die Gründer von Celonis, Bastian Nominacher, Alexander Rinke und Martin Klenk.
Von der Gründung 2011 zum globalen Softwaredienstleister mit Milliardenbewertung in weniger als 10 Jahren, so liest sich die beeindruckende Geschichte der Firma Celonis, die im November 2019 mit dem Deutschen Zukunftspreis ausgezeichnet wurde.
Einer der drei Gründer, Co-CEO und TUM-Alumni Bastian Nominacher, erläutert uns im Interview, was sich hinter dem Geschäftsmodell Process Mining verbirgt. Er erinnert sich an wichtige Stationen der jungen Firmengeschichte und erläutert die erfolgreiche Kooperation des Unternehmens mit der akademischen Welt. Die Fragen stellte Prof. Dr. Matthias Scherer.

Celonis Co-CEO Bastian Nominacher hat an der TUM Wirtschaftsinformatik und Finanzmathematik studiert.
Ihr habt im November 2019 den Deutschen Zukunftspreis gewonnen. Was bedeutet Euch diese Auszeichnung?
Der Deutsche Zukunftspreis gilt als der wichtigste Innovations- und Technologiepreis in Deutschland, daher ist diese Auszeichnung eine große Ehre für uns Gründer und das gesamte Celonis-Team. Wir freuen uns sehr darüber, denn für uns ist dieser Preis eine großartige Bestätigung unserer bisherigen Arbeit sowie ein Beleg für die Relevanz und das Potenzial unserer Technologie.
Welche Dienstleistung bietet Celonis an und wer sind typische Kunden?
Mit unserer Process Mining Technologie unterstützen wir Organisationen weltweit dabei, Erkenntnisse aus Prozessen in Aktionen umzusetzen. Das ist der Schlüssel zu mehr Effizienz und Qualität in allen wichtigen Abläufen. Den typischen Kunden gibt es dabei nicht: Organisationen jeder Größe und Branche können unsere Software anwenden, um Ineffizienzen in ihren Prozessen aufzuspüren.
Wir haben Kunden in nahezu allen Bereichen – darunter Automobilbauer, Logistikunternehmen, Einzelhändler, Kliniken, Fluggesellschaften, Rundfunkanstalten und viele mehr. Darunter befinden sich auch zahlreiche kleine und mittelständische Unternehmen.
Dazu benötigt Ihr Methoden aus der Informatik-, BWL und Mathematik, richtig?
Ja, das ist richtig. Mein Mitgründer Martin [Klenk] hat Informatik studiert, Alex [Alexander Rinke] Mathematik und ich selbst Wirtschaftsinformatik und Finanzmathematik. Das ist eine sehr gute Kombination an Fähigkeiten, von der wir jeden Tag profitieren. Process Mining verbindet ja quasi zwei Welten, indem wir über prozessbezogene Probleme mit einem datenbasierten Ansatz nachdenken.
Das klassische Prozessmanagement beschäftigt sich hauptsächlich mit Fragen nach Automatisierungspotenzial, der Verbesserung von Durchlaufzeiten oder besseren Planungsmöglichkeiten und arbeitet hier viel mit Modellen, Annahmen oder Beobachtungen. Process Mining hingegen bietet hier einen datenbasierten Ansatz, bei dem wir verschiedene Methoden von Machine Learning bis hin zu Konformitätsabgleichen anwenden, um Unternehmensprobleme – hier kommt die BWL ins Spiel – wie lange Wartezeiten, unnötige Extraarbeiten oder verspätete Zahlungen proaktiv zu beheben.
Process Mining ist übrigens nicht nur für Unternehmen interessant, sondern beschäftigt auch ein ganzes Wissenschaftsgebiet mit Schnittstellen zu Informatik, Mathematik und BWL. Ein Großteil der Grundlagenforschung zu Process Mining stammt von Prof. Wil van der Aalst (RWTH Aachen); er gehört heute zu einflussreichsten Wissenschaftlern im Bereich Information Systems und Data Science. Bei Celonis haben wir auf diesen wissenschaftlichen Grundlagen einen Algorithmus geschaffen, um die Daten aus den verschiedenen IT-Systemen zu visualisieren und für die Analyse nutzbar zu machen. Aus meiner Sicht sind Martin, Alex und ich so erfolgreich, weil unsere unterschiedlichen Hintergründe und Stärken sich in unserer Arbeit perfekt ergänzen.
Welche Inhalte aus Eurem Studium waren besonders wertvoll?
Hilfreich war bestimmt, dass wir an der Uni gelernt haben, systematisch an Problemlösungen heranzugehen. Egal ob es um die Softwarearchitektur oder ein komplexes Finanzmodell geht – wir können immer auf das Wissen aus der Uni zurückgreifen. Darüber hinaus helfen uns bis heute vor allem die Kenntnisse aus den Bereichen Datenbanken, Algorithmik und Wirtschaftsinformatik
bei der Weiterentwicklung unserer Produkte und der Skalierung von Celonis als Unternehmen. So hat uns das vermittelte Wissen aus dem Bereich Datenbanken zum Beispiel erlaubt unsere eigene und patentierte Process Query Language (PQL) zu entwickeln, welche präzise Analysen von Prozessen ermöglicht.
Aber auch die Kenntnisse aus unserer Tätigkeit in der studentischen Unternehmensberatung Academy Consult München e.V., wo wir drei uns kennengelernt haben, kommen uns nach wie vor zugute. Dort sind wir im Rahmen eines studentischen Projekts für den Bayerischen Rundfunk das erste Mal auf Process Mining gestoßen und haben auf der Basis Celonis gegründet. Ich möchte jedem Studierenden ans Herz legen, die Vielfalt der Zusatzangebote an der Uni zu nutzen. Ohne diese Möglichkeiten würde es Celonis heute eventuell gar nicht geben.
Könnt Ihr ein Beispiel angeben, wie ein Kunde von Eurer Software profitieren kann?
In jeder Organisation – Unternehmen, Behörden oder Kliniken– fällt heute eine gigantische Menge an digitalen Daten an. Informationssysteme – wie zum Beispiel ERP oder CRM – speichern kontinuierlich Informationen darüber, was wann und wo im System erfolgt ist. Das sind die sogenannten Eventlogs. Unsere Technologie analysiert diese wie ein Röntgengerät und erkennt, wo Ineffizienzen und Verbesserungspotenziale liegen. Damit werden Züge oder Flugzeuge pünktlicher, Patienten können im Krankenhaus schneller behandelt werden oder Unternehmen nachhaltige Lieferanten identifizieren.
Process Mining ermöglicht einen reibungslosen Verbraucheralltag und hilft gleichzeitig Unternehmen dabei, den Mitbewerbern immer einen Schritt voraus zu sein sowie nachhaltige Entscheidungen zu treffen.
Wann und wie entstand Eure Geschäftsidee?
Im Rahmen der studentischen Unternehmensberatung Academy Consult München e.V. haben wir ein Projekt beim Bayerischen Rundfunk betreut, bei dem das Ticketsystem im Helpdesk optimiert werden sollte. Dabei standen wir vor der Herausforderung, eine große Menge an Prozessdaten zu analysieren. Herkömmliche Verfahren zur Datenanalyse oder Interview-basierte Techniken, wie sie meist in der klassischen Unternehmensberatung genutzt werden, stießen jedoch schnell an ihre Grenzen.
In einer wissenschaftlichen Abhandlung von Prof. Dr. Wil van der Aalst lasen wir das erste Mal über Process Mining. Allerdings war das damals noch ein wissenschaftliches Konzept und es fehlte eine leistungsfähige Anwendung, die es erlaubte Process Mining in der Praxis und auf große Datenmengen anzuwenden. Deshalb begannen wir selbst eine Software zu schreiben und so ist die Idee zu Celonis entstanden.
Gab es einen Punkt in der jungen Geschichte Eurer Firma an welchem Ihr am Erfolg gezweifelt habt und ab wann wusstet Ihr, dass es "läuft"?
Die Idee zu Celonis war schnell geboren. Zunächst haben wir versucht, das Ganze neben dem Studium aufzubauen, allerdings war schnell klar, dass das nicht funktioniert. Wir haben uns ganz auf Celonis konzentriert, was natürlich ein gewaltiger Schritt und mit vielen Unsicherheiten verbunden war.
Gerade am Anfang war es schwierig, Kunden von uns und unserer Idee zu überzeugen. Im ersten Jahr haben wir viele handgeschriebene Briefe an potenzielle Kunden geschickt und sind viel durch das Land gefahren, um Kunden von unserer Software zu überzeugen. Ein entscheidender Punkt war sicherlich, als wir mit Siemens unseren ersten Großkunden gewinnen konnten. Da konnte man langsam absehen, wie groß der Bedarf am Markt wirklich ist. Das Potenzial unseres Marktes wird mittlerweile auf 40 bis 50 Milliarden US Dollar pro Jahr geschätzt.
Gab es seitens der TUM Unterstützung bei der Gründung?
Die TU München spielt für uns eine ganz besondere Rolle, da wir uns hier im Studium kennengelernt haben. Schon vor der Gründung von Celonis wurden wir hier super unterstützt: Neben der TUM Gründungsberatung halfen die Lehrstühle für Wirtschaftsinformatik, Industrial Design und Entrepreneurship, das Geschäftsmodell und eine Corporate Identity zu entwickeln. 2015 wurden wir mit dem Presidential Entrepreneurship Award der TU München ausgezeichnet. Diese enge Verbindung besteht bis heute – es gibt zahlreiche Kooperationen und gemeinsame Projekte, zudem kommen viele unserer Mitarbeiter von der TUM.
Wie habt Ihr Euer junges Start-up finanziert?
Die ersten fünf Jahre haben wir komplett selbst finanziert. Das war nur möglich, weil wir von Beginn an eine Kundenbasis aufbauen konnten und sehr bewusste Finanzentscheidungen getroffen haben.Am Anfang kam noch eine Unterstützung durch das Existenzgründerprogramm EXIST vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie dazu. Seit 2016 haben wir renommierte internationale Investoren an Bord, die uns nicht nur finanziell, sondern vor allem auch durch ihre Erfahrung im Aufbau großer IT-Firmen und im internationalen Softwaregeschäft unterstützen.
Bei Celonis arbeiten viele Mathematiker? Wie könnte ein Arbeitstag eines Mathematikers bei Euch aussehen?
Bei Celonis findet man Mathematiker in den unterschiedlichsten Bereichen – zum Teil in sehr technischen Rollen oder aber auch in Rollen mit Kundenkontakt. Zum Beispiel arbeiten bei uns viele Mathematiker in Bereich Software Engineering und treiben dort die Entwicklung neuer Features und Funktionalitäten voran. Aber auch auf Kundenseite haben wir viele Mathematiker als Business Analytics Consultants oder Process Mining Consultants eingesetzt. In diesen Rollen generieren unsere 'Celonauten' mithilfe unserer Process Query Language – einer Anfragesprache für Prozesse – auf Basis konkreter Kundendaten einen Mehrwert für einzelne Kunden. So kann jeder bei Celonis seine Stärken ganz individuell einbringen.
Worauf achtet Ihr bei der Auswahl Eurer Mitarbeiter?
Wir suchen ja in ganz unterschiedlichen Bereichen, in der Produktentwicklung ebenso wie im kaufmännischen Sektor, da sind die fachlichen Anforderungen natürlich sehr unterschiedlich. Was aber alle 'Celonauten' ausmacht: Sie sind lösungsorientierte und ambitionierte Teamplayer und gehen die 'Extrameile' um unsere Kunden und Partner erfolgreich zu machen. Unsere gemeinsame Passion ist die Process Mining Technologie.
Welche Tipps könnt Ihr unseren Studierenden geben, die selbst über die Gründung eines Start-ups nachdenken?
Traut Euch – es macht riesigen Spaß, die eigenen Projekte und Ideen voranzutreiben. Und sucht Euch erfahrene Mentoren, die zu Euch und Eurer Idee passen. Das hilft dabei, Stolpersteine in der Gründungsphase zu erkennen und zu umgehen.
Ihr kooperiert nach wie vor mit der TUM und anderen Universitäten. Wie schaut diese Kooperation aus und was versprecht Ihr Euch davon?
Derzeit bestehen Kooperationen mit verschiedenen Lehrstühlen und Bereichen. Im Rahmen dieser Kooperationen finden regelmäßig Workshops, Gastvorträge und Events statt, um den Studierenden der TU München die Gelegenheit zu geben, sich über Karrieremöglichkeiten bei Celonis zu informieren. Außerdem nehmen wir an Karrieremessen teil und laden Start-up- und Entrepreneurship-fokussierte Studentengruppen zu uns ins Büro ein. Celonis ist außerdem Gastgeber der TUM Start-up Feierabend Insights.
Darüber hinaus arbeiten wir in mehreren Forschungsprojekten zusammen, beispielsweise mit dem Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik und dem TUM IWB. Wir bieten auch regelmäßig angewandte Praxisprojekte im TUM Data Innovation Lab an, in denen Studierende verschiedener Fachrichtungen an spannenden Themen aus den Bereichen Data Science und Machine Learning arbeiten können.
Eine Aktivität von Euch ist die "Academic Alliance" – was steckt dahinter?
Die Academic Alliance ist unser akademisches Kooperationsprogramm für Bildung, Forschung und Lehre im Bereich Process Mining mit mehr als 250 Universitätspartnern weltweit. Unser Ziel ist es, die nächste Generation optimal auf die Zukunft der smarten Unternehmenstransformation vorzubereiten. Neben 'Challenges' und 'Hackathons', bieten wir auch ein kostenfreies Online-Zertifizierungsprogramm für Process Mining an. Wir sind zudem regelmäßig zu Gastvorträgen an der TUM eingeladen und arbeiten dort mit Lehrstühlen der BWL, Informatik und Mathematik zusammen.
Meldet Euch gerne bei unserem Academic Alliance Team, wenn Ihr mehr zu unserer Technologie und den Kooperationsmöglichkeiten erfahren möchtet. Ich lade außerdem alle Studierenden, Forscher und Dozenten ein, unsere Technologie selbst zu testen. Jeder Akademiker erhält von uns eine kostenlose Celonis-Lizenz, Beispieldatensätze und Lernmaterialien.
Was würdet Ihr Euch von der TUM (und anderen Universitäten) hinsichtlich der Ausbildung junger Talente wünschen?
Einen starken Praxisbezug und eine noch intensivere Verzahnung von Wissenschaft und Unternehmen.
Wo steht Celonis in 10 Jahren?
Ich bin zuversichtlich, dass unsere Process Mining Technologie in 10 Jahren eine Grundlagentechnologie sein wird, welche in allen Unternehmen für die wichtigen Prozesse eingesetzt wird. Aktuell sehen wir ein starkes Markt-Momentum, das wir bedienen müssen. Dies gibt uns die Möglichkeit ein langfristig wachsendes und erfolgreiches Technologieunternehmen aufzubauen.
Wir danken Euch für das interessante Gespräch!